DIE TAUSCHBÖRSE

Doktor Bruno Sachs

Verlag:
Carl Hanser Verlag
Jahr:
2000
Seitenzahl:
570
ISBN:
9783446198548
Medium:
Hardcover
Sprache:
Deutsch
Anbieter:
(190)

Artikel angeboten seit:
28.01.2011
Tickets:
2
Zustandsbeschreibung
Sehr gut. Umschlag minimal angestoßen.
Artikelbeschreibung
Einen kritischen Arztroman zu schreiben - was für ein verwegener Vorsatz. Der Arzt des «Arztromans» lebt in einer heilen Welt, ist selbst nie krank und heiratet am Schluss die hübscheste Krankenschwester. Auch in Martin Wincklers Roman findet der Held nach 280 Seiten gloriosen Hagestolz-Daseins eine Frau fürs Leben (sogar in Gestalt einer Patientin, was bedenklich gegen seine eigenen Grundsätze verstösst), als wollte der Autor die Klischees der Gattung nicht schlichtweg durch Ignoranz strafen, sondern subversiv unterhöhlen. Im Original heisst der voluminöse Roman nicht «Doktor Bruno Sachs», sondern «La Maladie de Sachs», und damit ist die systematische Paradoxie, um die es dem Autor geht, von vornherein auf die Spitze getrieben. Der Arzt ist selbst ein Kranker - aber was fehlt ihm?

Mit einem Wort: die Kälte. Doktor Sachs ist ein notorisch Mitleidender, und das ist beileibe keine Berufskrankheit, sondern eher deren Gegenteil: ein Gebrechen, das dem Helden die Ausübung seiner Tätigkeit erschwert, manchmal fast unmöglich macht. «Weisst du, was die schlimmste Falle in diesem Beruf ist?», fragt Sachs einen Freund in einem Telefonat, und die Antwort, die er selbst gibt, wird durch eine akustische Störung halbiert: «Die ----ssion.» Gemeint sein kann eigentlich nur die Kompassion, das Mitleiden. Wo seine Kollegen, die «Boulevardspezialisten», wie er sie gelegentlich nennt, vorrangig an ihrer Karriere arbeiten, also an der gewinnbringenden Vermarktung ihrer Erfolge, ist dieser Allgemeinmediziner und Gynäkologe in die Krankheitsgeschichten und darüber hinaus in die Schicksale seiner Patienten derart involviert, dass ihm kaum ein Gedanke bleibt, der nicht um den Schmerz kreist.

Längst ist Bruno Sachs in die Falle getappt, die Kompassion treibt ihn an, lähmt ihn aber zugleich, hängt ihm wie eine schwere Bleikugel am Fuss, sitzt ihm wie das sprichwörtliche Gewicht der Welt im Nacken. Es leuchtet ein, dass eine solche Titanenfigur nicht gut in der Ich-Form überliefert werden kann; deshalb kehrt Martin Winckler den Spiess um, lässt die anderen erzählen, die Freunde, Kollegen, Geliebten, Mütter, Sprechstundenhilfen und vor allem immer wieder die Patienten, lässt den Helden zum «Du» werden - und dieses Spiegelverfahren zerlegt den Titan in zahlreiche Facetten, von naiver Verehrung über milde Ironie bis zu schroffer Ablehnung; es hat im Übrigen den Vorteil, eine Vielfalt an Stilformen zu produzieren, die erst in ihrer Summe ein aussagekräftiges Ganzes ergeben. Wie ja auch erst die Summe aller erlittenen Schmerzen das Gewicht der Welt ausmacht, an dem Bruno Sachs so heroisch mitträgt.
Schlagworte
k.A.

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