Der Morphinist oder Die Barbarin bin ich

Guter Zustand, leichte Gebrauchsspuren.

»Immer war es am Ende meiner Schwangerschaften, daß er aufkreuzte und sich in meinen Träumen festsetzte, mich dickbäuchig und schwerfällig in Bibliotheken trieb.« Bei diesem »er« handelt es sich um Dietrich Eckart, der 1923 am Obersalzberg, wenige Tage nach dem Marsch auf die Feldherrnhalle in München, starb. Ihn, den Vordenker und ersten Propagandisten der Nazis, bekommt die Erzählerin nicht mehr aus dem Kopf. Die Frage, weswegen dieser verdrehte Geist sich jenen mörderischen Antisemitismus, der im Völkermord endete, als erster ausgedacht hat, lässt ihr keine Ruhe.

Zunächst sammelt sie biographisches Material. Eckarts Vater war ein angesehener Justiziar in der Oberpfälzer Kleinstadt Neumarkt. Nichts sprach dagegen, dass Eckart auch Jurist werden würde. Doch er wollte Dichter werden, und er war von Anfang an gefährdet. Früh war er bereits dem Alkohol, später dann dem Morphium verfallen.

Zurück geht die Erzählerin auch in ihrer eigenen Lebensgeschichte, schreibt Porträts ihres Großvaters und ihrer Eltern, die mit Eckarts Gedankengut groß geworden sind. Sie lässt Eckarts Gegner zu Wort kommen, nistet sich in dessen Kopf ein und versucht zu verstehen, weswegen er sich als Opfer missgünstiger jüdischer Kritiker im zynischen Berlin sah.

Tanja Langer hat in ihrer beeindruckend mutigen Prosa-Erkundung das Abgleiten eines Mannes aus bürgerlichem Haus in furchtbaren Hass und Wahn beschrieben. Die Geschichte eines hochfahrenden Dichters, der Hitler in München gesellschaftsfähig gemacht hat, und dem Hitler zum Dank den zweiten Teil von »Mein Kampf« widmete.

k.A.