DIE TAUSCHBÖRSE
Autor:
Verlag:
Steidl
Jahr:
1996
Seitenzahl:
444
ISBN:
9783882434163
Medium:
Hardcover
Sprache:
Deutsch
Anbieter:
(215)

Artikel angeboten seit:
29.11.2014
Tickets:
2
Zustandsbeschreibung
Gesamtzustand: gut, halt einmal gelesen
Leseknicke in den Seiten: einer
Zustand Cover und Rücken: gut, ein minimaler Knick
Ecken & Kanten: gut minimalst angestoßen,
Schnitt: mittel
Sonstige Mängel: Papier geringfügig gegilbt,
Tierfreier Nichtraucherhaushalt
Artikelbeschreibung
Anders, als der Titel vermuten ließe, macht Denton in diesem Buch keine sexuellen Erfahrungen, jedenfalls nicht von der Art, die man sich gemeinhin vorstellt. Ihn treibt eine merkwürdige Lust an Schmerz und Schmutz. Doch was er schildert, bleibt im Grunde alltäglich: Züchtigungen im Internat, eine Rangelei mit Kameraden, eine Rasur, ein Streich, bei dem einem Unglücklichen das Schamhaar mit Kaugummi verklebt wird, und wie er einmal eine Katze in Todesangst versetzt. Nur einmal bringt ihn ein Mann ins Schwärmen, und das ist ein robuster Stallknecht, der mit Dung hantiert.

Einen "Hang zu gruseligen Dingen" bescheinigt Denton sich selbst; aber für das Gruselige dürfen wir getrost ein "eklig" lesen. Ausführlich schildert er etwa seinen Fund eines Pilzes namens Stinkhorn, der seinem Namen alle Ehre macht: "Ich hielt ihn mir unter die Nase und sog seinen Gestank ein. Wellen von Übelkeit stiegen in mir hoch, doch gierig atmete ich noch mehr davon ein. Dann warf ich ihn ins dunkle Gras, und er lag da wie eine große weiße hilflose Made."

Man ahnt, was William Burroughs, der Welch sein Vorbild nannte, an diesem Schriftsteller gefiel: das Bild vom adretten Schuljungen mit der schmutzigen Phantasie. Aber es ist nicht ratsam, Denton Welch nach Stellen zu lesen, nach welchen auch immer. Er ist ein Erzähler, kein Bekenner; und wenn man sich schon ein Bild von ihm machen will, dann lieber eins von denen, die er selbst anbietet; den jugendlichen Narziß vielleicht, der mit seinem Picknickkorb auf einem chinesischen Grabhügel hockt und von Brandopfern träumt, die ihm nach seinem Tod dargebracht würden.

Denton Welch sei "ein geborener Schriftsteller", schreibt Edith Sitwell, der dieser Roman gewidmet ist, im Vorwort. So etwas steht oft in Vorworten, hier stimmt es. Man staunt, wie viele Einzelheiten man nach der Lektüre im Kopf behält, wie viele Sätze man beinah rezitieren kann. Es stimmt auch in seinem Vorbehalt: Einen konzeptionell durchdachten, "modernen" Roman sollte man von Denton Welch nicht erwarten. Auf die Frage, warum der Schluß so abrupt kommt wie Dentons Abreise aus Shanghai, hätte er wohl nur erwidert, daß es sich so eben zugetragen hat. Immerhin: Man möchte auch nach 440 Seiten noch weiterlesen, weiter dem unaufgeregt abenteuerlichen Klang seiner Prosa folgen, die einen wie das Rattern der alten Züge behutsam an entlegene Orte trägt.

Leider gibt es dazu nicht mehr viel Gelegenheit. 1948, im Alter von dreiunddreißig Jahren, starb Denton Welch an den Spätfolgen seines Unfalls. Sein dritter Roman, der die letzten Jahre seiner Jugend behandeln sollte, blieb unvollendet: "Jetzt, da ich dies schreibe, wünschte ich, ich könnte" - damit bricht er ab. Ob ein paar Jahre, ein paar Bücher mehr genügt hätten, aus dem ewigen Geheimtip einen anerkannten Dichter zu machen? Wahrscheinlich nicht. Jetzt, da wir dies lesen, können wir ihm nichts anderes wünschen als seine Förderer vor einem halben Jahrhundert: daß sein Werk die Achtung findet, die es verdient.

Denton Welch: "Jungfernfahrt". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Carl Weissner. Steidl Verlag, Göttingen 1996. 444 S
Schlagworte
k.A.

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